Im Oktober 2018 haben wir endlich die Reise angetreten, die seit 2014 auf unserer Agenda stand und haben – gerade noch im Centenaire – die Schlachtfelder bei Verdun besichtigt. Aufschlussreich war es insbesondere, die topographischen Gegebenheiten bei diversen Spaziergängen zu erkunden. Hier wurde mir wirklich erst so richtig bewusst, dass Erhöhungen und Ebenen Einfluss auf die taktische Kriegsführung haben. Auch über hundert Jahre nach der Schlacht um Verdun ist die Landschaft von den Kampfeshandlungen geprägt. Als ein riesiger Erinnerungsort an den Ersten Weltkrieg wird die gesamte Region um Verdun herum gepflegt, um sichtbare Zeichen der Ausmaße des Krieges zu bewahren.
Die Stadt Verdun und die Umgebung haben sich auf den Tourismus rund um die Schlacht von 1916 spezialisiert. An vielen Orten sind Gedenkstätten, Rundwege und Tafeln angebracht, die Besucherinnen und Besuchern die Schlacht näherbringen sollen.
Der Tourismus zu den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs findet bereits seit über hundert Jahren statt. Wo heute wichtige Arbeit zur Aufarbeitung und zum Präsenthalten des Krieges geleistet wird, sah Karl Kraus in den „Reklamefahrten zur Hölle“ 1921 vor allem makaberen Voyeurismus.
„Sie erhalten am Morgen Ihre Zeitung.
Sie lesen, wie bequem Ihnen das Überleben gemacht wird.
Sie erfahren, daß 1 1/2 Millionen eben dort verbluten mußten, wo Wein und Kaffee und alles andere inbegriffen ist.
Sie haben vor jenen Märtyrern und jenen Toten entschieden den Vorzug einer erstklassigen Verpflegung in der Ville-Martyre und am Ravin de la Mort.
Sie fahren im bequemen Personen-Auto aufs Schlachtfeld, während jene nur im Viehwagen dahingelangt sind. Sie hören, was Ihnen da alles zur Entschädigung für die Leiden jener geboten wird und für ein Erlebnis, wovon Sie bis heute Zweck, Sinn und Ursache nicht zu erkennen vermochten.
Sie begreifen, daß es veranstaltet wurde, damit einmal, wenn von der Glorie nichts geblieben ist als die Pleite, wenigstens ein Schlachtfeld par excellence vorhanden sei.“ 1Karl Kraus: Die Fackel, Nr. 577-582, November 1921, S. 96-98.
Das „Schlachtfeld par excellence“ existiert bis heute. Viele Menschen in und um Verdun verdienen heute ihren Lebensunterhalt mit dem Tourismus und selbstverständlich ist die Unterbringung und Verpflegung sehr viel luxuriöser als es die Soldaten sich im Kriege je hätten erträumen können. Doch der Schlachtfeldtourismus kann inzwischen kaum noch etwas mit Schaulust zu tun haben. Wer zu den Schauplätzen ehemaliger Kampfeshandlungen fährt, geht vielmehr einen Weg der Erinnerung und hilft somit, dass die düstere Prognose des Nörglers sich nicht erfülle: „Man wird vergessen haben, daß man den Krieg verloren, vergessen haben, daß man ihn begonnen, vergessen, daß man ihn geführt hat.“2Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog. 7. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995 (Karl Kraus Schriften / Christian Wagenknecht [Hg.]; 10), V/49, S. 659.
In den folgenden Beiträgen werden einzelne Stationen unserer Reise vorgestellt werden.