Auf unserem Weg durch die Gegend von Verdun kamen wir an einem Denkmal vorbei, das mich in seiner Symbolik faszinierte. Ein toter Löwe: welch Sinnbild für den Krieg! Keine Verklärung des Soldatentums und des Heldenmuts, sondern weit sichtbares Zeichen für das Vergebliche und Zerstörerische des Krieges. Das Heldentum liegt tot am Boden. Niedergestreckt, der König der Tiere.
Wir hielten an, um dieses aus der Reihe fallende in Stein gehauene Mahnmal zu betrachten. Doch wie haben wir uns getäuscht: Der Löwe als Symbol für Bayern dient tatsächlich für die Glorifizierung des Kampfgeistes, keineswegs für dessen Niedergang. Auf einer Infotafel ist zu lesen, dass hier allegorisch die Niederlage der bayerischen Truppen gegen den „erbitterten Widerstand der Frontsoldaten der 130. Infanterie-Division“ am 23. Juni 1916 zu sehen sei. „Dieses Denkmal zeugt durch seine Gestaltung von der Niederlage der deutschen Kriegstruppen an den Toren vor Verdun“, heißt es dort weiter. Das Schild bemüht das klassische Narrativ des Heldenmythos. David gegen Goliath. Erinnert wird an den Angriff der deutschen Truppen auf das Fort Souville, das „von einer kleinen und unter dem Befehl des Leutnants Dupuy stehenden Garnison verteidigt wird. Diese Einheit widersteht unter wahren Heldentaten. Das letzte Tor nach Verdun ist immer noch in französischer Hand.“ Als letzte Bastion gegen die deutsche Einnahme Verduns hat eine kleine Anzahl an Menschen durch ihren Heldenmut das Blatt wenden und die Deutschen zum Rückzug zwingen können, so liest sich die Infotafel.
Tatsächlich wurde das Fort de Souville im Gegensatz zum Fort de Douaumont und zum Fort de Vaux nie von den Deutschen eingenommen.1Vgl. den Artikel „Fort de Souville“ auf wikipedia.de, Stand Februar 2020, 15:46 Uhr, https://de.wikipedia.org/wiki/Fort_de_Souville#Schlacht_um_Verdun_1916. Auf der folgenden Karte wird die Lage des Forts schematisch sichtbar:
Das Löwendenkmal ist sehr prominent an der Kreuzung der Straßen D112 und D913 errichtet. Dort stand zuvor die Chapelle Sainte-Fine, die im Krieg zerstört wurde. Der Bildhauer René Paris, der den Löwen schuf, war selbst Soldat des 130. Infanterie-Division. Eingeweiht wurde das Denkmal am 1. Oktober 1922.2Gemäß Informationstafel am Monument du Lion de Souville.
Der Löwe liegt erhöht auf einem Steinsockel auf seiner rechten Seite, dem entgegenkommenen Betrachter sind die Pranken und der Bauch zugewandt. Von der Seite sieht man das Gesicht des Löwen, die leeren Augen leicht geöffnet, ebenso das Maul, in dem die Reißzähne zu sehen sind. Die Krallen der linken vorderen Tatze fehlen. Nach einer Legende sollen deutsche Soldaten diese während des Zweiten Weltkriegs entfernt haben, wofür es jedoch keine Belege gibt.3Vgl. „Monument: le Lion de Souville“, in: Le Républicain Lorrain, 02.02.2020.
Auf dem Sockel unter dem Gesicht des Löwen ist eine Plakette angebracht, auf der zu lesen ist: „Les Anciens du 14e Régiment de ligne belge à leurs camarades du 14e R.I. tombés à Verdun.“ Weniger gut zu lesen sind die Inschrift auf dem gemauerten Untergrund. Auf der Frontseite ist eingraviert: „Aux Morts. Ici ont combattu les 130, 131 [???nicht alle Zahlen lesbar] Div. [???] La Garnison du fort de Souville. Monument élevé par l’association de la 130 [???]“ Auch die inschrift auf der linken Denkmalseite ist nicht gut lesbar: „130 Division. Général Toulonge[?]. 260 et 307 brigades. 39, 239, 40, 407[?] d’Infanterie [???]“
Auch wenn der Löwe nicht zu unserer intuitiven ersten Interpretation eines Mahnmals gegen den Krieg passt, ist die allegorische Verarbeitung von Sieg und Niederlage in Gestalt eines Tierdenkmals nach meinem bisherigen Erfahrungen eher unüblich. Etwas Besonderes ist dieser beeindruckende tote Löwe daher allemal.
↑1 | Vgl. den Artikel „Fort de Souville“ auf wikipedia.de, Stand Februar 2020, 15:46 Uhr, https://de.wikipedia.org/wiki/Fort_de_Souville#Schlacht_um_Verdun_1916. |
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↑2 | Gemäß Informationstafel am Monument du Lion de Souville. |
↑3 | Vgl. „Monument: le Lion de Souville“, in: Le Républicain Lorrain, 02.02.2020. |