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Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ist in Deutschland überwiegend von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs überschattet und verdrängt worden. Im öffentlichen Raum und im gemeinsamen Gedächtnis ist er weniger präsent als die Schrecken des Holocausts, zu deren Gedenken vielerorts Denkmäler errichtet wurden. Das ist verständlich, wird jedoch den Außmaßen und Folgen des Krieges, der in Frankreich als Grande Guerre oder in Großbritannien als Great War wesentlich tiefer im kollektiven Gedächtnis verankert ist, nicht gerecht. Zum hundertjährigen Gedenken an den Ersten Weltkrieg in den Jahren 2014 bis 2018 hat sich das ein wenig geändert.

Als ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit mit Karl Kraus‘ Die letzten Tage der Menschheit auseinandergesetzt habe, begann ich mich für den Ersten Weltkrieg zu interessieren und stieß bald auf die Erkenntnis, dass sich der Krieg aus unterschiedlich nationaler Betrachtung jeweils anders erzählen lässt. Der deutsch-französische Konflikt und die Handlungen an der (deutschen) Westfront sind aus der österreichischen Perspektive beispielsweise nicht im Fokus. Den Weltkrieg aus wirklich globaler Perspektive zu erzählen, ohne vom eigenen nationalen Standpunkt auszugehen, scheint fast unmöglich. Zumindest bin ich in den letzten Jahren noch auf keine (historiographische) Erzählung des Krieges gestoßen, die das geschafft hätte. Diese verschiedenen Sichtweisen auf ein Erlebnis, das fast allen Staaten Europas gemein ist, begann mich zu interessieren. Inzwischen promoviere ich am Graduiertenkolleg „Gründungsmythen Europas in Literatur, Kultur und Musik“ der Universitäten Bonn, Paris und Florenz zur Frage nach dem Erleben des Krieges im Hinterland und welche gemeinsamen oder unterschiedlichen Wertungen des Geschehens stattfanden.

Seit meinem erwachten Interesse am Ersten Weltkrieg stoße ich bei Reisen oder Spaziergängen immer wieder auf Denkmäler und Gräber aus dieser Zeit. Auch hier fallen nationale Unterschiedliche in der Erinnerungskultur auf, die mich faszinieren. Ich begann, meine Besuche von Gedenkstätten fotografisch zu dokumentieren und habe inzwischen aus vielen Jahren Material gesammelt. Auf diesem Blog möchte ich diese Funde teilen und meine durch Zufall geleiteten Entdeckungslust noch a posteriori systematisieren. Die Fotos stammen, sofern nicht anders angegeben, alle von mir. Mit einer Free-Culture-Lizenz (CC BY-SA 4.0) stelle ich sie anderen gerne zu Verfügung.

Weil ich mich eine ganze Weile mit Pierre Noras Lieux de mémoire1Nora, Pierre: Les lieux de mémoire. 7 Bde. Paris 1984-1992. (dt. Erinnerungs- oder Gedächtnisorte) und auch mit der Frage, ob es europäische Erinnerungsorte2Vgl. zu der Frage z.B. das Vorwort in: Boer, Pim den; Duchhardt, Heinz; Kreis, Georg; Schmale, Wolfgang: Europäische Erinnerungsorte. 3 Bde. München: Oldenbourg 2012. geben kann, habe ich den Begriff auf der Suche nach einem Namen für den Blog für mich gekapert. In der ursprünglichen Bedeutung bezeichnen die loci memoriae auch tatsächlich konkrete Orte wie Grab- oder Denkmäler. Erst in Noras Konzept, das das kollektive Gedächtnis in die Geschichtswissenschaft zu integrieren sucht, löst sich der Begriff von den rein geographischen Orten.

(November 2019)

References
1 Nora, Pierre: Les lieux de mémoire. 7 Bde. Paris 1984-1992.
2 Vgl. zu der Frage z.B. das Vorwort in: Boer, Pim den; Duchhardt, Heinz; Kreis, Georg; Schmale, Wolfgang: Europäische Erinnerungsorte. 3 Bde. München: Oldenbourg 2012.